Nachhaltiger Konsum
Die Quadratur des Kreises? Oder tatsächlich möglich? Ein Kommentar.
Text: Dr. Karin Mehling
Foto: ready made (Pexels)
Die Quadratur des Kreises? Oder tatsächlich möglich? Ein Kommentar.
Text: Dr. Karin Mehling
Foto: ready made (Pexels)
Nachhaltigkeit ist der Trend der Stunde. Waren Anfang der 1990er Ökos noch langhaarige, Bündnis 90 / Die Grünen-wählende, Yoga-treibende Müsli-Fanatiker (bitte nicht übel nehmen, das ist natürlich nur ein stereotypes Beispiel), ist es heute Trend, nachhaltig zu leben und zu handeln. Unverpackt-Läden sprießen aus dem Boden, jede Marke, die etwas auf sich hält, hat vegane, recycelte, biologische, nachhaltige Produkte im Sortiment, die uns suggerieren, dass wir mit dem Kauf automatisch Klima und Umwelt schützen. Quasi "Shopping for future". Doch gibt es nachhaltigen Konsum wirklich? Was ist echte Nachhaltigkeit und was nur Schein? Können wir unser Gewissen freikaufen? Kann "neu" nachhaltig sein oder dürfen wir nur noch Second-Hand einkaufen, um einen neutralen CO2-Abdruck zu hinterlassen?
"100% Bio", "nachhaltig", "CO2-neutral", "klimapositiv" - wer in diesen Tagen einkaufen geht, bekommt den Eindruck, dass er mittels Konsum Klima und Umwelt schützen kann. Es gibt kaum mehr Produkte, die ohne ein offizielles oder selbstverpasstes Nachhaltigkeits-Siegel auskommen.
Ob direkt oder indirekt - Unternehmen achten immer mehr darauf, ihre Produkte als nachhaltig zu positionieren. Die Spielarten können dabei je nach unternehmerischen Ansatz und Produktart unterschiedlich sein. Biologischer Anbau als Klassiker, Verzicht auf besondere Zusatzstoffe (z.B. Microplastik), Recycling in allen Varianten, indirekter Klimaschutz durch Finanzierung von Umweltschutzprojekten (z.B. Aufforstungsprojekten), Einsatz erneuerbarer Energien, Optimierungen von Produktions- und Lieferketten, Einsparung von Verpackungen, Refurbishing (z.B. im IT-Bereich) sind nur einige Beispiele.
"Shopping for future" also? Scheinbar hinterlässt Konsum in unserem (Öko-)System kaum oder keine Spuren mehr. Ist etwa die Quadratur des Kreises gelungen? Zumindest wird es uns suggeriert und genau das ist das Fatale am aktuellen Nachhaltigkeits-Trend. Konsum wird zum aktiven Nachhaltigkeitsbeitrag stilisiert, nachhaltiges Handel als Verkaufsargument instrumentalisiert. Doch sind es selten intrinsische Motive, die ein Unternehmen bewegen, (scheinbar) nachhaltiger zu werden, sondern ganz profane: Umsatz- und Renditesteigerungen oder zumindest die Erhaltung des Status quo. Um sich am Markt behaupten zu können, kommt man nicht umhin, Trends zu folgen.
Bitte nicht falsch verstehen: Dass mehr und mehr ein Bewusstsein für Nachhaltigkeit und Ökologie entsteht, ist eine gute Sache. Für Tierwohl einzustehen oder Maßnahmen gegen den Klimawandel umzusetzen ist wunderbar. Dass dies nun auch gesellschaftlich nicht nur anerkannt, sondern sogar gefeiert wird, ist eine tolle Entwicklung. Ich selbst habe mich lange Jahre für meinen vegetarischen Lebensstil "rechtfertigen", schiefe Blicke für die Teilnahme an PETA-Demonstrationen einstecken und unsägliche Diskussionen über den Wirkungsgrad des individuellen Tuns führen müssen.
Doch Trends haben Wirkungen und Nebenwirkungen. Sie bewirken (positiv gesehen), dass sich viele Menschen einer Sache verschreiben oder zumindest einen Beitrag leisten wollen. Sie stärken den Diskurs und die öffentliche Wahrnehmung. Gleichzeitig verwässern Trends Missionen und Visionen, da sie maßentauglich sein müssen. Ziele schrumpfen plötzlich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner. Und - wie bereits oben beschrieben - motivieren sie Unternehmen und auch Politik, auf den Mainstream-Zug aufzuspringen. Oft heiligt dann der Zweck die Mittel. Produkte werden erzwungen nachhaltig gestaltet, koste es was es wolle. Jeder möchte ein Stück vom Kuchen haben und es wird teilweise extreme Verdrängungspolitik betrieben. Subventionen werden abgegriffen, um ja nicht die eigene Renditespanne zu schmälern. Über Jahre klug entwickelte und genutzte Produkte werden plötzlich verteufelt und kurzfristig ersetzt.
Damit ein Trend funktioniert, muss das jeweilige Thema auf einfache Thesen reduziert werden. Schwarz oder weiß, gut oder böse, richtig oder falsch - damit eine Marketingmaschinerie den Nerv und das Gehört trifft, werden Gegensätze geschaffen.Im Fall der Nachhaltigkeit ist dies jedoch ein zweischneidiges Schwert. Nicht alles, was auf den ersten Blick besser erscheint, ist es auch. Oft ist die Antwort eben nicht "Ja" oder "Nein", sondern "JEIN", wie es schon 1996 die Gruppe "Fettes Brot" so schön besang.
Schauen wir uns ein paar Beispiele an:
Die Reihe der Beispiele könnte noch beliebig fortgesetzt werden. Ganz wichtig: Es geht mir nicht um die Bewertung oder Verdammung bestimmter Produkte oder Maßnahmen, im Gegenteil. Der Punkt ist: Es gibt kein schwarz oder weiß, es gibt viele Grautöne dazwischen.
Also bringt alle Nachhaltigkeit nichts? Kehren wir einfach zum konventionellen Konsum zurück? Oder dürfen wir nur noch second hand einkaufen? Aus meiner Sicht muss bzw. kann beides nicht sein (mal abgesehen, dass second hand nur funktioniert, so lange jemand anderes für mich mitkonsumiert). Wir müssen uns klar sein:
Wir können nicht nicht konsumieren.
Leben kann nur existieren, indem Verbrauch stattfindet.Unsere marktwirtschaftlich orientiere Gesellschaft kann nur funktionieren, indem Konsum stattfindet.Fortschritt kann nur entstehen, indem Entwicklung und Produktion stattfinden.Lebenswert kann nur sein, was uns Freude bereitet.Wir können demnach nicht nicht konsumieren und uns auch nicht aus unserer Verantwortung mit (scheinbar) nachhaltigen Produkten "freikaufen". Doch:
Wir können achtsam konsumieren.
Was bedeutet achtsamer Konsum? Vor allem eines: Fragen und hinterfragen. Ein paar Beispiele:
Fakt ist: Die Quadratur des Kreises ist nicht möglich. So wie es in der Geometrie unmöglich ist, die Fläche eines Kreises exakt in die Fläche eines Quadrates umzuwandeln (Schuld ist die kleine Variable Pi), kann Konsum nicht per se nachhaltig sein.
Doch wie in der Mathematik können wir uns auch im Leben dem Ergebnis annähern, indem wir die Variablen verändern und anpassen. Je nach Umfeld, Situation und Lebensabschnitt können die Variablen differieren und eine mehr oder weniger genaue Annäherung möglich machen. Wichtig bleibt, dass wir es versuchen!
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